steirischer herbst | musikprotokoll :: Primen (UA)
Für drei Chöre, 4 Streicher und 12 Subdirigenten
Komposition: Peter Jakober, Text: Ferdinand Schmatz
Mittwoch, 04. Oktober 2017, 19:30 Uhr
Helmut List Halle Graz

Ferdinand Schmatz, Sprecher
ensemble zeitfluss
chor pro musica graz | gerd kenda
vocalforum graz | Franz Herzog
Domkantorei Graz | Josef Doeller
Musikalische Gesamtleitung: Gerd Kenda

Stottern und Schielen sind Erkenntnis
Imposante Festivaleröffnung mit „Primen“ von Peter Jakober und Ferdinand Schmatz. Autor Händl Klaus lieferte eine charmante literarische Intervention.

Mit der Uraufführung von „Primen“, einer gelungenen Gemeinschaftsarbeit von Peter Jakober (Komposition) und Ferdinand Schmatz (Text und Sprecher), wurde in der Grazer Helmut-List-Halle die 50. Ausgabe des musikprotokolls klang- und wortgewaltig eröffnet. Der psychologische Priming- Effekt war Vorlage für das Werk des 40-jährigen Steirers: So wurden assoziative Reizwörter wie Goethes Dreigestirn „edel, hilfreich und gut“ dekonstruiert – hin zur Emanzipation der Silben und der Auflösung im Stottern. In einem anschwellenden Kanon umringten das ensemble zeitfluss und drei Chöre (chor pro musica graz, Vocalforum Graz und Domkantorei Graz) unter der Gesamtleitung von Gerd Kenda mithilfe von zwölf SubdirigentInnen das Publikum. Den solidarischen Duktus von Arbeiterchören wachrufend, endete das politische Stück abrupt mit einem nachdrücklichen Stakkato. Nach den offiziellen Eröffnungsworten von Leiterin Elke Tschaikner und Co-Kurator Christian Scheib mit einem zu ausufernden retrospektiven Namedropping von Akteuren eines halben Festival-Jahrhunderts zeigte Händl Klaus mit einer literarischen Intervention in charmant tirolerischer Manier seine Zuneigung zur Musik. Die anschließende österreichische Erstaufführung von Andreas Trobollowitschs Klangforschungs-Performance „composedconfusion“ schien etwa mit Basstrommel spielenden Zitronenbäumen oder einer durch denRaumschwingenden Gitarre nicht mehr unbedingt zwingend. (Monika Voithofer, kleine zeitung, 06. Oktober 2017)

Wenn Riesen marschieren
Das 50. musikprotokoll eröffnete mit einem Abend der - gewollt oder nicht - wie ein Widerhall jener Heldenjahre der Neuen Musik vor vielen Dekaden wirkte. Ein schillerndes Chorstück samt Sprachzerlegung und eine Fluxus-artige Performance setzten den Auftakt in der ideal genutzten List-Halle.

Es war schwer, angesichts Peter Jakobers Chorstück "Primen" zeitweilig nicht an die Klangflächen von György Ligetis "Lux aeterna" zu denken, die beim ersten musikprotokoll vor 49 Jahren von sich reden machten. Und auch wenn die Intentionen von Textdichter Ferdinand Schmatz andere sein mögen, schien die Art, wie Worte zerlegt werden, wie sich Sprache in viele Ebenen auffächert, eine Hommage an die konkrete Literatur der 60-er zu beinhalten. Zwölf Dirigenten benötigt "Primen", um die Chöre durch die von unterschiedlichen Tempi geprägte Partitur zu lotsen. Worte werden übertragen, treten plötzlich hervor, Silbenformieren sich zu neuen Sinneinheiten, und das alles ist so elaboriert wie es sinnlich schön klingt. Mit Schönheit weniger am Hut hat Andreas Trobollowitsch sein "composed confusion" war ein Objekttheatermit fünf menschlichen Akteuren, die wirkten, als hätte sie Erwin Wurm arrangiert. Der Klang von Wind in einer Zimmerpflanze, das Rütteln an einem Bäumchen, eine schwingende Gitarre, ein klopfender Geigenbogen. Wenig passiert in dieser bizarren Anordnung, deren Verwandtschaft zum Fluxus nicht zu ignorieren ist. Eine Kunstrichtung, die mittlerweile ja auch zum Klassiker wurde. Deshalb zeigt der Abend scheinbar nebenbei, wie schwer es eine Avantgarde hat, wenn man ständig die Schritte von Riesen hinter sich marschieren hört. (Martin Gasser, Kronenzeitung, 06. Oktober 2017)